Tourismus: Gamer als Zielgruppe gewinnen
Lange galt eSports als kulturelles Minderheitenprogramm; als Beschäftigung einer überschaubaren Anzahl von Nerds, die von der Gesellschaft unbeobachtet ihren digitalen Freuden frönen. Doch diese Zeiten sind längst vorbei: Veranstaltungen, in deren Mittelpunkt packende eSports-Matches stehen, sorgen für erstaunliche Besucherzahlen. Das Sport.Tourismus.Forum in St. Gallen brachte Mitte Jänner einige interessante Einblicke in die jüngsten touristischen Entwicklungen; dass die Digitalisierung nicht nur die Gesellschaft, sondern auch ihr Urlaubsverhalten nachhaltig verändert hat, dürfte wohl die vielleicht wichtigste Erkenntnis des Forums sein. Virtual Reality, eSports und Drohnen-Wettkämpfe ziehen ein neues Publikum an – und das in Dimensionen, die noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar schienen. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Können Sie sich unter „eSports“ und „Virtual Reality“ konkret etwas vorstellen? Und wenn doch: Wo liegt da der touristische Benefit?
Wie Schach mit Maus
Seit bald zwei Jahrzehnten muss eSports nun schon um seine Reputation kämpfen. Dass Videospielen im Rahmen eines beinharten Wettbewerbs und mit einer professionellen Struktur betrieben wird, löst immer noch ungläubiges Staunen aus. „Das ist doch kein echter Sport!“, ist noch das Mindeste an Herabwürdigung, was eSportler zu hören bekommen. Dabei wird gerne übersehen, dass auch die Reputation von beispielsweise alten Klassikern wie Schach oder Darts nicht unbedingt von der umgesetzten Menge Schweiß abhängig ist – sondern vielmehr von Seriosität, Können und Breitenwirksamkeit. Genau das gilt auch für professionelle Videospieler: Einer der erfolgreichsten heimischen Prota-gonisten der Szene ist Richard Gansterer. Er hat bereits rund 85.000 Dollar mit seiner Leidenschaft, dem Shooter „Quake“, verdient. Um in der obersten Leistungsklasse auch nur annähernd eine Chance zu haben, bedarf es allerdings bis zu sechs Trainingseinheiten zu je zwei bis vier Stunden pro Woche; die Zeit dafür bringt Richard neben seinem eigentlichen Job als Webdeveloper auf. Als er mit dem Spiel Quake begann, ahnte noch kein Mensch, welche Begeisterung öffentlich ausgetragene Videospiel-Matches einmal auslösen würden – eine Begeisterung, die sich aber jetzt, Jahre später, in handfesten Nächtigungs- und Besucherzahlen niederschlägt. Kein Wunder, sind doch allein in Deutschland rund 35 Millio-nen Menschen sogenannte Gamer, also Videospieler, und damit potenzielle Abnehmer touristischer Angebote in genau diesem Sektor.
Erfolgreiche Mega-Events
Nur damit man sich vorstellen kann, was mit solchen Angeboten konkret gemeint ist: Das „Intel Extreme Masters“ in Katowice brachte 173.000 Besucher in die Region; der Ort konnte rund 22 Millionen Euro an Werbewert lukrieren. Veranstaltungen wie diese sind unter anderem deshalb so erfolgreich, weil nicht nur Fans und Zuseher, sondern auch Spielerteams und deren Anhang vor Ort sind. Um einen Eindruck der wachsenden Begeisterung für Matches von Spielen wie dem beliebtesten eSports-Titel „League of Legends“ zu vermitteln: Etwa 30 Millionen Zuschauer weltweit zählte die Weltmeisterschaft im Jahr 2014; die Liga-Spiele erreichen Quoten von bis zu 500.000 Zusehern via YouTube und Streaming-Diensten. Preisgelder in Höhe von zweistelligen Dollar-Millionenbeträgen werden ausgeschüttet – und die USA vergab vor wenigen Jahren erstmals offizielle Sportler-Visa für ausländische Teilnehmer, die nach Amerika einreisen wollten. Auch nicht unspannend: 2017 schauten 18- bis 25-jährige Männer erstmals mehr eSports- und Online-Gaming-Events als „reguläre“ Sportübertragungen. Und genau da liegt auch die Chance für den Tourismus; es muss nämlich nicht immer gleich der Mega-Event für 100.000 Besucher sein. Auch ein sanfter Einstieg in die Materie ist möglich und wird von der Zielgruppe mit Freuden angenommen. Wichtig ist also, der momentan rasant steigenden Nachfrage zu begegnen und etwas anbieten zu können. Zum Beispiel mit Live-Streams von wichtigen eSports-Wettkämpfen im passenden Rahmen. Den Zahlen und Trends nach zu urteilen, dürfte es sich bei eSports nämlich doch um einen Gast handeln, der gekommen ist, um zu bleiben.
Text: Peter Zirbs