Kulinarik

Sehnensucht: Zwischen Zunge und Zeitgeist

Drei kreative Köpfe servieren Rindszunge, Stierhoden oder Karpfen in überraschend neuen Formen. Doch hinter dem Projekt steckt eine Vision. Mit Podcastfolge!

Wien liebt sein Schnitzel. Und seine Gewissheiten. Kulinarisch herrscht in der Hauptstadt in der Regel eine stille Übereinkunft: Was auf den Teller kommt, soll vertraut schmecken, mit einem Hauch Gutbürgerlichkeit und bitte keine Fragen aufwerfen. Genau hier, in dieser gastronomischen Komfortzone, kratzt ein junges Projekt an den Wänden des Gewohnten.

Sehnensucht heißt die Intervention – ein temporäres Pop-up, das bis vor kurzem im Wiener Gleis//Garten zu Gast war, und das sich bewusst dem Unverdaulichen im metaphorischen Sinn widmet. Rindszunge, Stierhoden, Fischkarkassen: Was andernorts aus der Küche verbannt wird, wird hier zur Hauptattraktion. Und das mit Absicht. „Der Geschmack steckt nicht im Filet“, sagt Markus Lichtenegger im ÖGZ-Podcast, gelernter Koch und Mitgründer, „sondern im Bindegewebe. Das weiß jeder, der einmal ein gutes Gulasch gegessen hat.“

We are Sehnensucht: Markus Lichtenegger, Fransisca Tan, Max Wiesner (v.l.) (C) Jürgen Schmücking
We are Sehnensucht: Markus Lichtenegger, Fransisca Tan, Max Wiesner (v.l.) (C) Jürgen Schmücking

Kulinarische Konfrontation mit Haltung

Hinter Sehnensucht stehen drei Persönlichkeiten, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch ein gemeinsames Ziel verfolgen: Fransisca Tan, Kulturmanagerin und Fooddesignerin mit Festivalerfahrung, Max Wiesner, aufgewachsen auf einem Bauernhof mit echter Kreislaufwirtschaft, und Markus Lichtenegger, der als Berufsfischer begann, später Koch wurde und schließlich sogar seine eigene Blunzen produzierte.
Ihr Zugang ist radikal, aber nicht dogmatisch. Was serviert wird, hat weniger mit Provokation zu tun als mit Aufklärung. „Wir wollen ein sensorisches Bewusstsein schaffen“, erklärt Tan. „Viele essen nur, was sie erkennen. Wir laden dazu ein, das Unbekannte zu schmecken – ohne Angst, aber mit Neugier.“

Auf der Karte stehen Gerichte wie „Zunge und Teich“, eine Hommage an Vitello Tonnato, bei der die Thunfischcreme durch eine Essenz aus Karpfenkarkassen ersetzt wird. Oder „Schwarz und Kohl“, eine selbstgemachte Blunzen mit Kimchi, die Gäste mit ihrer Farbe ebenso überrascht wie mit ihrer sensorischen Tiefe.
Besonders stolz ist das Trio auf ihre stark reduzierte Knochen- und Sehnenessenz, die an Umami-Konzentration kaum zu übertreffen ist. Wiesner nennt es „das Herzstück unserer Philosophie: Nichts verschwenden, alles veredeln.“

Die ÖGZ zu Gast bei "Sehnensucht" (C) Alexander Grübling
Die ÖGZ zu Gast bei „Sehnensucht“ (C) Alexander Grübling

Zwischen Entsetzen und Ekstase

„Natürlich gibt es Leute, die sehen ‚Stierhoden‘ auf der Karte und treten automatisch einen Schritt zurück“, sagt Lichtenegger. „Aber genau diese Menschen überraschen wir oft am meisten.“
Viele Gäste gehen mit einem Aha-Erlebnis, manche mit einem neuen Lieblingsgericht. Und fast alle mit einer Erkenntnis: Nachhaltigkeit beginnt nicht bei der Verpackung, sondern beim Respekt vor dem Produkt.
Die drei „Sehnensüchtler“ denken aber weiter. Ein fixes Lokal? Vielleicht. Aber nur, wenn es zum Konzept passt. „Sechs Tage die Woche aufsperren – das sind nicht wir“, sagt Tan. „Wir wollen mehr. Eigene Flächen, eigenes Gemüse, vielleicht Tiere – echte Kreisläufe.“

Wiesner träumt von einer kleinen Landwirtschaft am Stadtrand. „Nicht um Bio zu sein. Sondern um ehrlich zu sein.“ Und vielleicht ist genau das die radikalste Idee hinter Sehnensucht: Ein Ort, an dem Essen wieder mit Verantwortung beginnt – und mit Genuss endet.

Wer dem Trio bei der Suche nach geeigneten Flächen oder Kooperationspartnern helfen möchte, wird auf Instagram fündig: www.instagram.com/sehnensucht.kitchen

Weitere Folgen von Tourismus to go unter:
www.gast.at/podcast-tourismus

 

 

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