Interview

Der gewisse Nervenkitzel bleibt immer

Sommelier
13.08.2024

Aktualisiert am 28.08.2024
Sommelier-Weltmeister Marc Almert im ÖGZ-Interview über den Zauber der Gastronomie, die Feinheiten der Weinkartengestaltung, warum eine große Auswahl allein nicht ausreicht und wie wichtig es ist, Gäste zu verstehen.
Marc Almert

ÖGZ: Herr Almert, Sie haben einmal gesagt, dass man als Sommelier nie genau weiß, was an einem Abend passiert, egal wie gut man sich vorbereitet. Lässt dieser Nervenkitzel mit zunehmender Routine nach?
Marc Almert: Eine Routine kann dazu beitragen, dass man entspannter ist oder auch mehr Situationen schon einmal erlebt hat und das dann aus dem Gedächtnis abrufen kann. Aber ich glaube, der gewisse Nervenkitzel bleibt immer und das ist für mich auch einer der Gründe, warum ich in die Gastronomie gegangen bin und auch heute noch gerne da arbeite.

Wie gut muss ein Sommelier Gäste lesen können?
Wenn es nur um Wine and Food Pairing ginge und ich meinen Küchenchef oder meine Küchenchefin gut kenne, dann würden eigentlich 10 Weine reichen, weil ich dann weiß, was ich zu welchem Stil und zu welchem Gericht anbiete. Der Gast hat unterschiedliche Bedürfnisse, je nachdem, aus welchem Anlass und mit wem er ins Restaurant kommt. Bei einem Geschäftsessen will er vielleicht eher seinen Geschäftspartner beeindrucken oder auf Nummer sicher gehen. Kommt er mit seiner Partnerin, ist er wiederum offener und entdeckungsfreudiger. Man muss spüren, wer da vor einem sitzt und warum.

Sie haben sicher schon viele Weinkarten gesehen. Welche Fehler sind Ihnen dabei am häufigsten aufgefallen?
Zum Beispiel ganz banale Schreibfehler. Gerade bei französischen Weinen kommt das leider häufig vor. Problematisch ist auch, wenn man eine Weinkarte geschrieben hat, ohne sich in die Lage des Gastes zu versetzen. Eine schwer lesbare Schrift oder eine kleine Schriftgröße: Das ist gerade in Restaurants, die abends abgedunkelt werden, ein Problem. Oder eine unübersichtliche Speisekarte, wo der Gast lange suchen muss, bis er das findet, was ihn interessiert.

Kann eine Weinkarte überhaupt zu groß sein?
Die Frage ist, ab wann eine Weinkarte als „aufgebläht“ gilt. 

Marc Almert
Erfahrungswerte und persönliche Vorlieben des Teams sind bei der Weinkartenzusammenstellung entscheidend: Marc Almert.

Wie stellt man als Sommelier eine Weinkarte für ein Restaurant zusammen? Welche Informationen benötigt man neben der Abstimmung auf die Speisen?
Manche Kunden beraten wir sehr intensiv, und es gibt sogar Kunden, deren Weinkarte fast vollständig von uns zusammengestellt wurde. Natürlich spielt die Karte eine wichtige Rolle, aber auch die Erfahrung und die persönlichen Vorlieben des Teams sind entscheidend. Stellen Sie sich vor, ein Restaurant hat ein rein italienisches Serviceteam, aber auf der Karte stehen nur spanische Weine. Da geht sicherlich Umsatz verloren. Solche Situationen kommen in der Gastronomie häufig vor. Wichtig ist auch, ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Portionsgrößen gefragt sind. In einem gemütlichen Lokal benötige ich vielleicht mehr offene Weine und eine gute Auswahl an Halbliterflaschen. Wenn es sich um eine Eventlocation handelt, ist vielleicht ein großes Format besser geeignet, vor allem bei Firmenfeiern. Man muss also immer darauf achten, wie sich die Weinkarte in die Gesamtsituation einfügt.

Hand aufs Herz: Gibt es einen Wein, den sie überhaupt nicht mögen?Ja, fehlerhaften. Ab wann ein Wein als fehlerhaft gilt und bis wohin er noch als „schön“ empfunden wird, darüber kann man diskutieren. Aber wenn ein Wein stark fehlerhaft ist, ist er nichts für mich. Außerdem gibt es Weine, bei denen versucht wird, mit viel Kellertechnik etwas zu kaschieren, weil das Ausgangsmaterial nicht stimmt. Man merkt recht schnell, wenn im Wein etwas nicht zusammenpasst.

Info

Der gebürtige Kölner Marc Almert wurde 2019 zum "Best Sommelier of the World" der Association de la Sommellerie Internationale gekürt – als zweiter Deutscher überhaupt und mit 27 Jahren einer der jüngsten Sieger in der Geschichte des Wettbewerbs.

Almert war Chef Sommelier im mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurant Pavillon im Baur au Lac in Zürich (bis Ende 2023). Das neue Restaurant „Marguita“ im Baur au Lac eröffnete im Juni 2024. Almert ist Teil der Geschäftsführung des hauseigenen Weinhandels Baur au Lac Vins. Weltweit wird Almert auch als Speaker geschätzt.