Interview

Führen steigende Preise zu minderer Qualität auf dem Teller?

C&C
14.06.2022

 
Gastro-Großhandels-Consultant Helmut Obergantschnig im Interview mit der ÖGZ über den AGM-Metro-Deal, Preiskämpfe und Regionalität in Krisenzeiten
Gegrillter Lachs mit Sauce und Kräutern

ÖGZ: Mit welchen Veränderungen ist im heimischen Gastro-Großhandel nach dem Konzentra­tionsschub (AGM-Metro-Deal) zu rechnen?
Obergantschnig: Das endgültige Ausmaß der Umsatzkonzentration ist zum aktuellen Zeitpunkt schwer abschätzbar. Denn die Anzahl der bisherigen AGM-Zustellkunden, die von Metro direkt übernommen werden können, und jener, die zur Konkurrenz abwandern werden, ist noch unbekannt. Aber schon jetzt kann man sagen: Akquisi­tionschancen bestehen für alle am Markt teilnehmenden Großhändler. Gastronomiebetriebe, die sich seinerzeit für AGM als Zustellpartner entschieden, taten dies aus den verschiedensten Gründen. Sie haben jetzt zu prüfen, welches Angebot ihren Anforderungen am besten entspricht. Da geht es nicht nur um Sortimente und Preise, sondern auch um Liefersicherheit und Servicegrad. Man darf auch gespannt sein, wie die Lebensmittelindustrie reagieren wird. Wird sie eine höhere Einkaufskonzentration mit besseren Konditionen honorieren? Oder legt sie größeren Wert auf ein ausgewogenes Angebotsverhältnis im Gastro-Großhandel und damit auf die Erhaltung der Distributionsvielfalt in den Regionen?

Steigende Lebensmittelpreise sind gerade im Wettlauf des Großhandels um die Gunst der bei manchen Basisartikeln wie Fleisch, Speiseöl oder TK-Pommes besonders preissensiblen Gastronomie ein heißes Eisen. Können und sollen sich mittelständische heimische Großhändler auf einen Preiskampf mit den beiden international aufgestellten Playern Metro und Transgourmet einlassen?
Der Preis war und ist immer noch ein sehr gewichtiges Argument. In der Gastronomie, wo ein Menüplan mit fixer Speisekarte die Rahmenbedingungen für Einkauf und Kalkulation vorgibt, sind auch Liefersicherheit und Verlässlichkeit sowie weitere Serviceleistungen die entscheidenden Erfolgsfaktoren, die oft der kleinere, regionale Großhandel durch seine Kundennähe zumindest ebenso gut erfüllen kann wie große nationale Anbieter. Daher glaube ich, dass auch regionale Großhandelsunternehmen im Zuge der neuen Marktverteilung erfolgreiche Akquisitionen bei bisherigen AGM-Kunden tätigen können. 

Dennoch stellt sich die Frage: Sollen unsere Gastro-Großhändler jetzt erst recht auf österreichische Qualität und Regionalität setzen, auch wenn dadurch die Restaurant-Preise weiter steigen? 
Die aktuelle Situation sollte meiner Meinung nach nicht dazu führen, dass die Gastronomie, um den Wareneinsatz zu senken, eine Art „Downgrading“ betreibt, indem sie beim Einkauf auf qualitativ minderwertige Preiseinstiegsprodukte und billige Importartikel setzt, die auf Spotmärkten immer zu finden sind. Denn mindere Qualität auf dem Teller bei dennoch steigenden Preisen auf der Speisenkarte würde kein Gast verstehen. Einer solchen „Einsparungstaktik“ seitens der Gastronomie wäre allenfalls nur ein sehr kurzfristiger Erfolg beschieden. Daher mein dringender Rat an die Gastronomie und ihre Großhandelspartner: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt für eine Strategie, die aus der Not eine Tugend macht. Indem die Preiserhöhungen, ausgelöst durch aktuelle Marktverwerfungen wie Ukraine-Krise, Lieferketten-Probleme und Rohstoffverteuerungen, von einer Qualitätssteigerungs-Strategie begleitet werden, die diese Preiserhöhungen rechtfertigt. 
Die Forcierung regionaler, qualitativ hochwertiger Produkte ist derzeit in aller Munde und der Gast wird höhere Preise für Speisen leichter akzeptieren, wenn klimafreundliche Begründungen wie kurze Transportwege aufgetischt werden. Ein weiteres starkes Argument: Die Wertschöpfung bleibt in der Region und das wiederum sichert heimische Arbeitsplätze.

Abschließende Frage: Kann der Großhandel als Vollsortimenter, der es dem Gastronomen ermöglicht, seinen Einkauf zu bündeln und ihm dadurch viel Arbeit abnimmt, gegenüber den Direktlieferanten aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie weiterhin reüssieren? 
Dass die Regionalität der Produkte die Direktlieferungen vom Landwirt zum Gastwirt fördert, ist in Einzelfällen möglich, im großen Maßstab aber unwahrscheinlich. Weil die einzelnen Hersteller in der Regel nicht über genügend Ware verfügen, um auch nur regional flächendeckend die Nachfrage zu bedienen. Es ist die ureigenste Aufgabe des Großhandels, Waren mit spezifischen Qualitäts- und Herkunftsmerkmalen derart zu bündeln und an seine Kunden zu verteilen, dass der gesamte Markt ausreichend abgedeckt wird. Daher glaube ich, dass die Bedeutung des Großhandels als Bezugsquelle für die Gastronomie weiterhin zunehmen wird. Diese Einschätzung findet auch ihren Niederschlag in meiner Marktprognose für das Jahr 2022. 

Helmut Obergantschnig
Helmut Obergantschnig war von 1975 bis 2002 als Marketingfachmann in der Adeg-Organisation tätig, davon ab 1984 als Einkaufs- und Marketingleiter der AGM-Märkte. Danach machte er sich selbstständig, führte von 2002 bis 2004 die größte Gastronomie-Marktforschungsstudie „Struktur, Einkaufs- und Informationsverhalten der Gastronomie in Österreich“ durch und gründete 2005 die Gastro Data GmbH (mit Aufbau des GastroPanels). Seit 2020 erstellt er als Marketing-Consultant kundenindividuelle Marktpotenzial-Analysen und Prognoserechnungen für den Gastronomiemarkt.