Gastkommentar

So senken wir die Strompreise

Energiekrise
20.10.2022

 
Dank Merit-Order explodieren derzeit die Preise am Energiemarkt. Was tun?
Teil eines Stromzählers, Nahaufnahme

Können Sie sich noch an den Energiemarkt vom letzten Jahr erinnern? Die Herstellung einer Kilowattstunde (kWh) Photovoltaik kostete 2 Cent, Wind 4, Kohle vielleicht 12 und Gas – je nach Marktlage – vielleicht 12 Cent. Da der teuerste Preis den Marktpreis bestimmt, war dies ein Batzengeschäft für die landesnahen Energieversorger. Mit fetten Gewinnen, die neben Großinvestitionen in neue Projekte (gut und notwendig) auch wahre Traumgagen ermöglichten. 

Körberlgeld für alternative Energieerzeuger

Dann kam der Krieg, der erstens die Kosten für Erdgas in dramatische Höhen katapultierte, was folglich „dank“ Merit-Order auch Strom aus anderen Energiequellen so teuer wie jenen aus Gas machte (siehe Grafik unten). Die blauen Balken zeigen, was die kWh je nach Energiequelle kostet. Der orange Balken zeigt das „Körberlgeld“ für alternative Energieerzeuger: Mehrkosten, die sich dem Kunden nur schwer erklären lassen. Das muss aufhören. Weil es die gesamte EU als Standort, das westliche Wirtschaftssystem, unseren Wohlstand, den Frieden, die Sicherheit bedroht. Die Politik kann auf mehrere Arten eingreifen. Nur eine davon ist gut.

Merit-Order

1. Sie tut nichts gegen den Effekt, dass die Energiekosten für den gesamten Markt steigen. Politiknahe Energieversorger verbuchen Rekordgewinne. Die kann man abschöpfen – oder lange darüber diskutieren, während Privatpersonen und Privatunternehmen ausbluten … und die politiknahen Energieversorger ihre Kassen füllen. Das geschah lange Zeit. 

2. Sie bekämpft Effekte, indem sie die Kosten für jede verbrauchte kWh abfedert. Das kostet viele Milliarden Euro – einerseits die Verbraucher, weil die Energiekosten trotzdem höher bleiben (weil nicht der gesamte Anstieg wegkompensiert wird), und den Staat – also den Steuerzahler. Das ist eine denkbar schlechte Lösung.

3. Man könnte die Auswirkungen des Gaspreises auf Strom aus anderen Energieträgern verhindern oder zumindest eindämmen. Das geht! 
a) über das Aussetzen des Merit-Order-Effekts: Das ist theoretischer Natur, weil es einen direkten, massiven Eingriff in den Markt darstellt. Man müsste AGs, die ihren Aktionären verpflichtet sind, verbieten, für ein für den Abnehmer identisches Produkt (eine kWh Strom) denselben Preis zu verlangen wie die Konkurrenz. Das wird nicht funktionieren.
b) über das Kappen der rechten, durchwegs blauen Säule, die auf mittlerweile 70 Cent je kWh gestiegen ist, und zwar, indem Strom­erzeugern die Mehrkosten für den Gaseinkauf (zumindest zu einem guten Teil) ersetzt werden: 

Soll-Ziel für den ­Energiemarkt

Was passiert dann? Zweierlei. Das Erste, sehr offensichtliche: Der Preis für alternative Energieformen steigt nicht oder, wie in der Grafik, nicht so hoch – sondern nur bis zu der Höhe, die den Gasverstromern als Restkosten bleiben. Und zum Zweiten reduziert sich infolge der Kostenreduktion auch der Bedarf an Subventionen massiv: Der Bund muss jedem Haushalt und vielen Unternehmen viel weniger Mehrkosten erstatten, wenn er das Preisniveau künstlich über den gesamten Markt reduziert, indem er den für die Merit-Order entscheidenden Höchstpreis kappt, weil er den Produzenten beim Einkauf von Gas stützt. Wir haben also einen Bruchteil der Kosten für die öffentliche Hand, wir haben viel niedrigere Preise für praktisch den gesamten Energiemarkt, wir haben keinen Selektions- und Verteilungsaufwand für die Verwaltung oder ungewollte Gießkanneneffekte und es würde sofort funktionieren. 

Merit-Order

Was wegfällt: Die politiknahen Energieversorger (deren unglaubliche Gewinnspannen sich seit vielen Jahren an Traumgehältern ablesen ließen, die alle anderen Sparten weit, weit, weit hinter sich ließen) würden plötzlich um viele, viele Millionen an Mehreinnahmen umfallen, die ihnen durch die Merit-Order aus den Kassen der privaten Haushalte und Unternehmen zukamen. Fällt jemandem noch ein anderer Grund ein, warum die Politik nicht rasch eine (vergleichsweise) günstige und praktische Lösung umsetzt?

Eine vieldiskutierte Alter­native dazu ist keine: das Abschöpfen der Zufallsgewinne. Denn wer genau definiert die? Bis wann wird zurückgezahlt? Bevor Dividenden und Boni (die sich am Gewinn orientieren) ausgeschüttet werden? Wird plötzlich wahnsinnig viel investiert? Und dann geklagt, wegen unverhältnismäßiger Eingriffe in den Markt? Wohin mit dem Geld – wer bekommt es? Wie viel kostet die Verwaltung? Gibt es dafür eine eigene Behörde – eine Strom-Cofag mit eigenen Gesetzen, die nicht hinterfragt werden kann, ohne Ansprüche, aber mit famosen Doppelgehältern für politisch besetzte Manager? Dafür spricht – vorsichtig ausgedrückt – relativ wenig.

Der Autor

Martin Stanits ist Unternehmenssprecher der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV)