Die Chance auf Mietnachlass lebt
In der Krise müssen alle Einbußen hinnehmen – so heißt es. Anscheinend kommen Vermieter aber in vielen Fällen unbeschadet durch die Krise. Mieten für Lokale und Hotelgebäude laufen oftmals in voller Höhe weiter. Und das ist ein Umstand, der sich für viele Unternehmen zu einem existenzbedrohenden Szenario ausweiten kann bzw. wird. Langsam geht vielen die Luft aus.
Verpächter ohne Verständnis
“Es gibt zum Glück aber auch Vermieter, die aufgrund der langjährigen Beziehung zu den Pächtern, den Wert der jahrelangen Zusammenarbeit mit verlässlichen Pächtern schätzen und ihnen mit der Pacht entgegenkommen”, sagt der Wiener Hotellerie-Fachgruppenobmann Dominic Schmid gegenüber der ÖGZ. Leider gibt es, wie eingangs erwähnt, aber auch Vermieter, die das anders sehen, da Objekte (als Finanzierung und Kapitalanlage, Anm.) sehr oft fremdfinanziert wurden und die Pacht die entsprechende monatliche Rückzahlungsrate ist, plus zusätzlichem Aufschlag. “Bei diesen Verpächtern gibt es kaum bis kein Verständnis und nach nunmehr 365 Tagen ohne bzw. mit kaum Umsatz, sind diese Kosten nicht zu stemmen”, sagt Schmid.
Osterfeuer?
Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer, der hoffentlich zum Osterfeuer wird. Denn ein juristisches Gutachten, das von den Fachgruppen Hotellerie, Gastronomie und Kaffeehäusern in der WK Wien gemeinsam beauftragt wurde, kommt zu dem Schluss, dass “Mieter und Pächter während der verordneten Schließungen nicht den vollen Betrag zu leisten haben”. Für die Branchenvertreter der Wiener Gastlichkeit, Dominic Schmid (Hotellerie), Wolfgang Binder (Kaffeehäuser) und Peter Dobcak (Gastronomie) ein Lichtblick.
58 Prozent mit Problemen
Die Alarmglocken läuten schon länger, das untermauert eine Befragung unter den Bestandnehmern in Hotellerie, Gastronomie und den Kaffeehäusern im Jänner: 58 Prozent der Befragten haben durch die Pandemie Probleme mit ihrem Bestandsgeber betreffend Miete oder Pacht bekommen. Deshalb beauftragten die drei Obleute der betroffenen Fachgruppen Brigitta Zöchling-Jud, Professorin für Zivilrecht und Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien mit der Erstellung eines Gutachtens. Dessen Resultate lassen die drei Obleute nun durchatmen: Es stärkt die Position der Mieter. Denn - so heißt es im Gutachten - die Preisgefahr liegt in der Pandemiesituation bei den Vermietern und Verpächtern.
700 Euro Miete pro Hotelzimmer
Zahlen lügen nicht: Die Zimmerpacht beträgt im Schnitt 700 Euro pro Zimmer/pro Monat, je nach Lage kann sich der Betrag erhöhen oder senken. Ein Betrieb mit 50 Zimmern bezahlt eine Pacht von netto 35.000 Euro kalt pro Monat (ohne Heizung, Strom, Abgaben, etc), jährlich also 420.000. “Dazu kommen Reparaturen und Objekterhaltungskosten sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Wartungskosten”, so Schmid. “Sehr viele Betriebe haben sich mit den Mitarbeitern solidarisch erklärt und diese in Kurzarbeit angemeldet. Hier fallen trotzdem 15% der Personalkosten monatlich ins Gewicht. Alles in allem sieht man sehr klar, in welcher äußerst schwierigen Situation unsere Branche befindet”.
Das Gutachten (siehe unten) sorgt für Optimismus unter den Branchenvertretern. Peter Dobcak freut sich über einen weiteren Punkt im Gutachten: „Es wird auch bestätigt, dass der Mieter keine andere Verwendung für das Lokal finden muss. Er braucht also sein Restaurant nicht zur Apotheke umbauen, wie es gefordert wurde“, berichtet er von einem kuriosen Fall. Und ergänzt: „Es gibt auch keine Verpflichtung, take-away anzubieten. Ich bin zwar sicher, dass das von unseren Mitgliedern gemacht wird, wenn es sich rechnet, aber das tut es eben nicht überall“.
Unterstützung im Rechtsstreit
Wie es nun für die Betroffenen Gastronomen, Kaffeesieder und Hoteliers weitergehen kann, umreißt Kaffeehaus-Obmann Binder: „Dieses Gutachten ist natürlich keine Entscheidung, es kann aber in einem Rechtsstreit eine Unterstützung sein.
“Sollte es zwischen Verpächter und Pächter zu keiner Einigung und dann zu einem Rechtsstreit kommen, haben wir hier nun ein Rechtsgutachten, welches wir natürlich sehr gerne an die Rechtsanwälte unserer Mitglieder weiterleiten, die diese im Rechtstreit vertreten”, sagt Schmid. Das Rechtsgutachten sei als ein Weggefährte und Begleiter gedacht, es müsse aber jeder einzelne Fall bzw. Vertrag im Detail geprüft werden.
Das Gutachten in der Kurzfassung
1. Ob ein Bestandnehmer den Bestandzins auch dann (ganz oder teilweise) zu entrichten hat, wenn er das Bestandobjekt auf Grund der aktuellen Pandemie nicht vertragsgemäß nutzen kann, ist eine Frage der Gefahrtragung, die im ABGB umfassend geregelt ist. Dabei gilt als Grundsatz, dass die Preisgefahr den Bestandgeber trifft, also zufällige Ereignisse wie die aktuelle COVID-19 Pandemie in seine Sphäre fallen. Dies gilt nicht nur für gewöhnliche Zufälle (§ 1096 ABGB), sondern auch für "außergewöhnliche Zufälle" iSd §§ 1104 f ABGB. Die Besonderheit bei außergewöhnlichen Zufällen besteht darin, dass der Bestandgeber von der Wiederherstellungspflicht befreit wird. Die §§ 1096, 1104 f ABGB sind ein gesetzlich positivierter Fall der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage.
2. Entsprechend der herrschenden Lehre und der (bislang vorliegenden erstinstanzlichen) Judikatur ist die COVID-19 Pandemie als außerordentlicher Zufall iSd § 1104 ABGB anzusehen. Die durch die Pandemie verursachte Unbrauchbarkeit eines Bestandobjektes führt also dazu, dass den Bestandnehmer keine oder nur eine eingeschränkte Verpflichtung trifft, den Bestandzins zu zahlen.
3. Unter §§ 1104 f ABGB sind nicht nur Gebrauchsbeeinträchtigungen zu subsumieren, die unmittelbar auf einer behördlichen Maßnahme (Betretungsverbot, Abstandsregelungen, Einschränkung der Öffnungszeiten) beruhen, sondern auch sonstige pandemiebedingte Umsatzausfälle. Stets muss aber die im Kunden- und Umsatzrückgang liegende Beeinträchtigung auf die Pandemie zurückzuführen sein, wofür der Mieter/Pächter beweispflichtig ist. Der Zusammenhang ist aber für die Bereiche der Gastronomie und Hotellerie prima facie anzunehmen.
4. Die §§ 1104 f stellen für Miete und Pacht weitgehend gleiche Regelungen bereit. Dies gilt von vornherein für den Entfall der Wiederherstellungspflicht des Bestandgebers bei außerordentlichen Zufällen und für den Entfall der Zinszahlungspflicht bei Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes. Unbrauchbarkeit (und nicht Gebrauchsbeeinträchtigung) liegt immer dann vor, wenn das Bestandobjekt über einen bestimmten Zeitraum nicht benützt werden kann, wenn Teile davon unbrauchbar sind, oder auch dann, wenn ein nur ganz geringer Ertrag erwirtschaftet werden kann. Ein Restnutzen, der etwa in der Lagerung von Waren liegt, ist unbeachtlich. Liegt eine bloße Gebrauchsbeeinträchtigung vor, ist auch ein Pächter eines für mehr als ein Jahr gepachteten Objektes zur Pachtzinsminderung berechtigt, wenn
der durch den außerordentlichen Zufall verursachte Nachteil nicht in Folgeperioden kompensiert werden kann, wie es für Betriebe des Gastgewerbes oder Hotels typisch ist.
5. Ob und inwieweit die COVID-19 Pandemie zu einer gänzlichen oder teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes führt, ist stets am "bedungenen Gebrauch" zu messen. Maßgebend ist also der Vertrag. Dabei kommt es nicht nur auf ausdrücklich Vereinbarungen an, sondern auch auf den gewöhnlich vorausgesetzten Verwendungszweck.
6. Ein Bestandgeber kann nicht dazu verhalten werden, im Geschäftslokal ein anderes Geschäft als vertraglich vereinbart oder wie bisher betrieben auszuüben, um dem Bestandgeber den vollen Bestandzins zu erhalten. Kaffeehäuser müssen also nicht zu Lebensmittelgeschäften oder, wie etwa ein Vermieter ernsthaft meint, in Apotheken umgewandelt werden.
7. Es besteht auch keine Verpflichtung, ein Liefer- oder Abholservice einzurichten, wenn ein solches nicht schon vor der Pandemie betrieben wurde. Gegebenenfalls kann ein solches Liefer- oder Abholservice, das bisher betrieben wurde, sogar eingestellt werden, wenn es wegen der Pandemie nicht mehr betriebswirtschaftlich sinnvoll betrieben werden kann.
8. Ein allfälliger Restnutzen des Geschäftslokals durch Lagermöglichkeiten, Unterbringung der Geschäftsausstattung uä stellt keine teilweise Brauchbarkeit iSd § 1105 ABGB dar, sondern Unbrauchbarkeit iSd § 1104, weil die Lagerung und Unterbringung idR nicht Selbstzweck ist.
9. Zwischen Entfall des Bestandzinses und Minderung besteht wie bei § 1096 ABGB nur ein quantitativer Unterschied. Auch bei §§ 1104 f ist das Ausmaß der Zinsminderung nach der relativen Berechnungsmethode zu bestimmen. Daher ist die Minderung durch Vergleich des vereinbarten Bestandzinses zu jenem Bestandzins zu ermitteln, der trotz Gebrauchsbeeinträchtigung am Markt zu erzielen wäre. Maßgebend ist der Grad und die Dauer der Unbrauchbarkeit, die wiederum am Vertragszweck zu orientieren ist. Gute Gründe sprechen dafür, die Unbrauchbarkeit am Umsatzentgang zu messen und daher bei der Berechnung der Minderung einen Umsatzvergleich anzustellen. Die Mietzinsminderung hat den gesamten Mietzins zum Ausgang zu nehmen, also auch die Betriebskosten zu erfassen.
10. Die Minderung wirkt ex lege, so dass ein zu viel entrichteter Zins nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückgefordert werden kann. In der vorbehaltslosen Zahlung des Zinses liegt nur dann ein konkludenter Verzicht auf die Minderung, wenn sie nicht irrtümlich erfolgte, einschließlich Rechtsirrtümern.
11. Staatliche Unterstützungen haben keine Auswirkungen auf die zwischen Bestandnehmer und Bestandgeber geltende gesetzliche Rechtslage. Der Mieter/Pächter kann sich also auch dann auf §§ 1104 f ABGB gegenüber dem Vermieter/Verpächter berufen, wenn er staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nimmt.
Die Mitglieder der Fachgruppen werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ungeachtet der klaren Leitlinien, die dieses Rechtsgutachten aufstellt, jeder Einzelfall von einem Rechtsanwalt geprüft werden muss, weil §§1104 f dispositives Recht sind und etwa der "bedungene Gebrauch" anhand des konkreten Bestandvertrages zu prüfen und festzustellen ist.