Eine Weiberwirtschaft

Bild oben: Seniorchefin Maria Luise und ihre Töchter Maria und Petra, die Chefinnen des „Gasthof zum Hirschen“.

Schlendert man durch die schmalen Gassen von Jenesien, hat man das Gefühl, auf einem Podest zu stehen. Auf einer Hangterrasse am Salten-Hochplateau über Bozen gelegen, bietet das kleine Bergdorf auf 1.100 Meter Seehöhe grandiose Ausblicke auf schroffe Berggipfel, sanfte Wiesen und weite Wälder. 
Mittendrin in der Bilderbuchkulisse thront der „Gasthof zum Hirschen“, wenige Schritte unterhalb der Jenesier Dorfkirche. 

Schon immer war die Gaststube das Herz des Dorfes. Einheimische aber „gehen zum Unterwirt“ – weil das Gasthaus unterhalb der Kirche liegt. Ob sonntags nach der Kirche, mittags auf der Terrasse oder abends an der Theke: „Wer wissen will, was in Jenesien los ist, kommt zu uns“, erzählen Maria und Petra Oberkofler. Das war schon immer so. Den Grundstein legt einst der Urgroßvater der Familie, als er den Gasthof übernimmt. Damals packt seine Frau tatkräftig mit an. Sie ist mit Herz und Seele Köchin und baut die Wirtschaft auf, während die Männer sich der Landwirtschaft und der Haflinger-Zucht widmen. Später setzt sich die Weiberwirtschaft fort und die Töchter übernehmen: Die junge Wirtin Maria Luise, heute Seniorchefin, führt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester den Gasthof und zieht parallel sechs Kinder groß. Eine Mammutaufgabe, die nur wegen der saisonalen Öffnungszeiten klappt: „Damals hatten wir nur im Sommer geöffnet.“ Denn bis 1985 führt keine richtige Straße nach Jenesien, die Gäste kommen mit der Seilbahn.

Auch in der heutigen Generation zeigt sich das X-Chromosom besonders gastfreundlich: Die Töchter Maria und Petra steigen im Gasthof ein – und sind heute die Chefinnen im Haus. Sohn Georg kümmert sich indes um den Reithof und die Haflingerzucht. 
In der Gaststube tauschen sich noch immer die Einheimischen aus, heute sind aber auch viele Touristen da. „Die kommen sofort mit den Dorfbewohnern ins Gespräch und lernen so das echte Jenesien kennen“. Seit einem Großumbau 2018 ist vieles anders, aber auch vieles gleich. Die feste Konstante ist das jahrzehntealte Wissen der Großmutter, das das Schwestern-Duo heute noch antreibt. 
„Unsere Großmutter war leidenschaftliche Köchin und lehrte uns Kinder schon Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, bevor diese Begriffe zum Trend wurden“, erzählen die beiden. Was auf den Tellern landete, stammte vom Hof oder aus der Region. Alles wurde verwertet, Verschwendung gab es keine.

Das sind Werte, nach denen der „Gasthof zum Hirschen“ noch heute lebt. Seniorchefin Maria Luise und ihre beiden Töchter, die den Gasthof und das 25 Zimmer starke Hotel führen, vereinen Wirtshaustradition mit einem behutsamen Umgang mit der Natur. 
Serviert wird Traditionsküche mit Produkten vom eigenen Hof oder von Kleinbauern aus der Region. Das Restaurant trägt die Auszeichnung „Südtiroler Gasthaus“: Dieses Label steht für traditionsreiche Betriebe, die Gäste mit ihrer Geschichte, regionstypischen Gerichten und einer ungekünstelten Südtiroler Gastfreundschaft überzeugen. Ach ja: Auf der Speisekarte findet sich mehrfach die Bezeichnung „100 % Hirschen“. Dieses hauseigene Qualitätssiegel markiert Speisen und Produkte, deren Zutaten von lokalen Produzenten stammen und fast zu Fuß ins Gasthaus gewandert sind.