Wirtschaftssystem
Das Ende der Maßlosigkeit
Alles wird knapp. Die Energie, die Lebensmittel, die Mikrochips. Eine „Rückkehr der Knappheit“ nennt die deutsche Bertelsmann-Stiftung die Ära, in die wir jetzt einbiegen. Das Zeitalter der kostengünstigen Produktion (meist in Fernost, auf Kosten der Arbeitskräfte) gehe zu Ende, schreibt die Chefökonomin der marktliberalen deutschen Tageszeitung „Die Welt“ Dorothea Siems und verpackt ihre Zeilen in einem schmerzvollen Nachruf auf die gute alte Zeit des Massenkonsums. So schön wie früher, so gut werde es nimma.
Es ist bemerkenswert, dass diese traurig-pessimistischen Aussichten nahezu deckungsgleich sind mit den Prognosen einiger Ökonomen des anderen Spektrums der ökonomischen Lehre. Vor einigen Jahren traf ich den deutschen Post-Wachstums-Ökonomen Niko Paech in Wien zu einem mehrstündigen Interview. Auch wenn es wehtue, wir müssten unser Wirtschaftssystem endlich den endlichen Ressourcen anpassen, erklärte er. Und er meinte damit nicht etwa, dass uns ein russischer Despot den Gashahn abdreht. Verglichen mit den zu erwartenden Auswirkungen der Klimaerwärmung auf das Weltwirtschaftssystem ist der Ukraine-Krieg bestenfalls eine Randnotiz. Einen kleinen Vorgeschmack bekommen wir eben in Norditalien, wo die halbe Ernte der trockenen Hitze zum Opfer fallen wird. Nicht auszudenken, wenn so etwas in großen Landstrichen in Afrika passiert.
Was ist, wenn wir nicht in den Pessimismus von Frau Siems einstimmen? Was wäre, wenn wir nicht der Tatsache nachtrauern, keine derart billige Elektronik kaufen zu können, die wir so wenig wertschätzen, dass wir uns jedes Jahr ein neues Modell, mit anderem Anstrich, kaufen müssen? Was wäre, wenn fossile Energieträger endlich durch erneuerbare ersetzt werden? Was wäre, wenn wir – weil es Geld kostet – beim Angebot an den Gast genau auf den Energieeinsatz zu achten beginnen?
30 Grad im Infinity-Pool
Wird der Gast denn nicht mehr kommen, wenn der Infinity-Pool nicht mehr auf 30 Grad geheizt ist, wenn es vielleicht gar keinen beheizten Pool mehr gibt?
Nachhaltigkeitsökonomen wie Paech wollten uns weniger Konsum verordnen, zum Wohl der zukünftigen Entwicklung. Jetzt scheint das der viel gepriesene Markt von selbst zu erledigen. Eine Abkehr von der Maßlosigkeit tut weh. Keine Frage. Aber wenn die Bertelsmann-Stiftung recht behält, bleibt uns bloß die Anpassung – oder besser Resilienz.
Dazu passt auch ein Gespräch mit einem ehemaligen ÖVP-Politiker, dass ich vor einigen Tagen führte. Er kritisierte die (rote) Wiener Stadtregierung, weil diese noch keine Photovoltaik-Paneele auf die Gemeindebauten geschraubt oder den Ökostromanteil sonstwie erhöht habe und jetzt die (Großteils gaserzeugten) Strompreise in die Höhe fahre. Meine verwunderte Erkenntnis: Dieser Schwarze klingt in etwa so, wie ein Grüner vor 15 Jahren. Erinnert mich an ÖVP-Klubchef Andreas Kohls „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit“ oder Konrad Adenauers „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!“ Wir alle haben die Gabe dazuzulernen.
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