Ukraine-Krieg
Die erste Hilfe gibt es im Hotel
Im Hotel Brillantengrund wird improvisiert. Es ist Freitag, der 18. März, und dort, wo normalerweise gemütlich gefrühstückt und Kaffee getrunken wird, herrscht reges Treiben. Das Team des Hotels und einige freiwillige Helfer organisieren Medikamente, Kleidung, Essen oder auch Unterkünfte. Der Hotelchef Marvin Mangalino ist einer von ihnen. Eine junge Frau kommt zu ihm an den Tisch und bedankt sich. Über das Netzwerk an Helfern haben sie und ihre Kinder eine Wohnung bekommen. Sogar ein kleiner Garten ist dabei. Die Frau kann ihr Glück kaum fassen.
Marvin Mangalino hat das Brillantengrund in Wien 2010 mit seinem Geschäftspartner Wolfgang Stranzinger übernommen. Schon kurz nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine veranstaltete man eine Benefizaktion der „Healthy Boy Band“ um die Spitzenköche Lukas Mraz (Mraz & Sohn, Wien), Philip Rachinger (Ois im Mühltalhof, Neufelden) und Felix Schellhorn (Der Seehof, Goldegg), die sich aus gegebenem Anlass in „Helfi Boy Band“ umbenannt haben und ein „Fine Dine for Ukraine“ servierten. Etwa zur selben Zeit postete Hotelchef Marvin Mangalino auf Instagram, dass er Freunden und deren Familien aus der Ukraine ein Zimmer in seinem Hotel anbieten könne. Diese Message wurde zum Selbstläufer. „Eigentlich wollten wir maximal 25 Menschen aufnehmen. Jetzt haben wir im Schnitt 50 bis 60 Geflüchtete gleichzeitig hier. Was willst du denn anderes machen, wenn Hilfsbedürftige vor deiner Tür stehen?“, sagt Mangalino im Gespräch mit der ÖGZ.
Die Gäste unterstützen das
Eigentlich wollte das Brillantengrund einige Zimmer renovieren. Das wurde wegen der Krise aufgeschoben. Derzeit ist das Hotel zu rund 70 Prozent mit Geflüchteten belegt. Die restlichen Gäste seien da absolut dafür, wie Mangalino betont. Dass sich das alles ausgeht, liegt daran, dass es im Netzwerk aus Partnern und Lieferanten breite Unterstützung gibt. Der Gastro-Großhändler spendet Lebensmittel, der Miettex-Anbieter wäscht für einen Monat lang gratis und Restaurants aus der Gegend bringen Essen vorbei. Bis Ende März will Mangalino das noch durchziehen, dann braucht er wieder mehr Kapazitäten. Aber bis dahin glaubt er, dass vermutlich alle seiner Geflüchteten eine längerfristige Unterkunft gefunden haben.
Das Hotel Brillantengrund ist nur ein Beispiel von vielen Beherbergungs- oder Gastronomiebetrieben, die in der jetzigen Situation helfen. Einzelne Hotels oder ganze Hotelgruppen schaffen Kapazitäten für Geflüchtete. Einen kleinen Einblick liefert hierfür die Umfrage auf Seite 5. Der Salzburger Hotelier Sepp Schellhorn nahm zwei Familien auf und hatte die Idee, dass eigentlich jeder Beherbergungsbetrieb kurzfristig zumindest ein Zimmer im Hotel oder Mitarbeiterhaus freimachen könne. So hat er eine internationale Initiative gestartet. Unter dem Slogan „One Hotel, One Family, One Europe“ werden Hotels und Flüchtende vernetzt (siehe dazu das Interview auf Seite 10). Die Hilfsbereitschaft ist derzeit enorm, und der durch die Pandemie gebeutelte Tourismussektor leistet hier einen wertvollen Beitrag bei der Erstversorgung und Unterbringung.
Derzeit ist noch schwer abschätzbar, wie viele Menschen noch kommen werden und wie viele von ihnen weiter in ein anderes Land fahren werden. Jenen, die hierbleiben, muss beim Sprung in ein selbstständiges Leben geholfen werden. Die auf europäischer Ebene geschaffene Möglichkeit des Arbeitsrechts für zumindest ein Jahr hilft dabei.
Ein Projekt unter Freunden
Der Unternehmer Martin Rohla hat sich gemeinsam mit seinen Partnern Yvonne Pirkner und Christoph Mayer von Goodshares zum Ziel gesetzt, zu handeln anstatt herumzureden. „Hosten statt Posten“ heißt seine Initiative, die bereits im Flüchtlingsstrom von 2015 entstanden ist. Syrische und afghanische Flüchtlinge wurden damals zu Restaurantfachkräften ausgebildet. Daraus resultierten die in Wien sehr erfolgreichen „Habibi & Hawara“-Restaurants.
Nun hat Rohla auf der Idee des „Habibi & Hawara“ aufgebaut und „Drusi & Hawara“ gestartet. „Drusi“ heißt auf Ukrainisch „Freunde“. Ziel ist es, Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, in Österreich die Möglichkeit zu geben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, wie Rohla im Gespräch mit der ÖGZ erklärt. Entstanden ist die Idee mit Alisa Khokhulya, die in der Ukraine eine Sprachschule aufgebaut hatte, bevor sie vor dem Krieg fliehen musste.
Auf eigenen Beinen
Was passiert da? In den Habibi-&- Hawara-Restaurants finden Onboarding-Seminare für Geflüchtete statt, in denen die Basics über Land und Geschichte Österreichs sowie die wichtigsten Behörden vermittelt werden. Zudem gibt es Deutschkurse, in denen binnen fünf Tagen Grundlagen vermittelt werden. Daneben gibt es Hilfe bei der Job- und Wohnungsvermittlung und auch ein Freizeitprogramm, in dem Österreicher*innen und Ukrainer*innen gemeinsam Unternehmungen starten.
„Dafür, dass wir erst vor einer Woche gestartet sind, läuft es sensationell“, sagt Rohla. Finanziert wird das Programm derzeit über Spenden. Man übernimmt mit einer 30-Euro-Spende die Patronanz für das „Onboarding“ einer Person – das geht ganz einfach über die Website drusi.at.
Eines ist allerdings fix. Laut Rohla muss sich das Projekt ökonomisch mittelfristig selbst tragen. Ob nach dem Vorbild von Habibi & Hawara bald ukrainische Restaurants aufsperren, die Borschtsch servieren? Noch ist dergleichen nichts geplant – aber man weiß ja nie!