Corona-Krise: Der Tourismus erfindet sich gerade neu
Die Covid-19-Krise hat den internationalen Tourismus massiv eingeschränkt. Laut einem Bericht der United Nations sind weltweit 120 Millionen Jobs bedroht. Wo in der Welt sind diese Auswirkungen am stärksten?
Susanne Becken: Besonders betroffen sind jene Länder, die sehr stark vom Flugverkehr abhängen. In meinem Teil der Welt sind das beispielsweise die Malediven oder pazifische Inseln. Daneben gibt es aber auch Länder mit einem starken Binnenmarkt, die die Rückgänge aufgrund der Inlandsnachfrage relativ gut kompensieren konnten. Australien ist hier ein Beispiel, und in Österreich funktionierte das auch wegen des europäischen Binnenmarkts ganz gut.
Die Welttourismusorganisation UNWTO warnt davor, dass vor allem die Armen der Welt unter der Krise leiden. Wie sieht die Situation dort aus?
Ich bin nicht damit einverstanden, dass die UNWTO stark verallgemeinert. Natürlich gibt es Länder wie Uganda, wo durch das Ausbleiben der Touristen große Probleme entstanden sind und die Allgemeinheit und auch der ärmere Teil der Bevölkerung darunter leiden. Zum Beispiel gehen dort die Einnahmen aus den Nationalparks zurück, wodurch plötzlich weniger Geld für den Umweltschutz da ist. In einigen Fällen steigen dann negative Phänomene wie die Wilderei wieder an. Aber es gibt auch Länder wie Gambia. Dort läuft der Tourismus fast ausschließlich über All-inclusive-Angebote. Da kommt wenig bei den Armen an. Bestenfalls arbeiten Einheimische als schlechtbezahlte Bedienstete, aber der Löwenanteil der Tourismuseinkünfte geht an internationale Firmen. Man muss sich also viel gezielter ansehen, welche ökonomischen und ökologischen Auswirkungen der Tourismus in den einzelnen Regionen hat, vor allem wenn die Reise ins Zielland an sich schon mit einem sehr hohen Treibhausgasausstoß verbunden ist.
Die weltweite Pandemie hat den Fremdenverkehr reduziert und das Reiseverhalten verändert. Das ist doch eine Chance für einen nachhaltigen Wiederaufbau. Wo muss man da ansetzen?
Es geht um die Wertschöpfung, deren Zustandekommen man sich genau ansehen muss. Rückblickend betrachtet hat doch der Großteil des weltweiten Tourismuswachstums in den vergangenen Jahren über die Masse und über Billigangebote funktioniert. Ich bin ja selbst auch begeistert von der Möglichkeit, über den Flugverkehr die Welt kennenzulernen. Aber was wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erlebt haben, war ein absurder Wettbewerb, bei dem alles immer billiger wurde. Ein Beispiel: Ein Flugticketpreis von weniger als 100 Euro von Wien nach Jordanien entspricht ja nicht den wirklichen Kosten. Das ist ein Flug von mehr als 2.500 Kilometern in eine Richtung. Diesen billigen Tourismus finanzieren Staaten, also die Allgemeinheit, über Subventionen. Die Gäste kommen dann für ein paar Tage, machen Billigurlaub und geben kaum Geld aus. Das führt dazu, dass das Verhältnis zwischen dem Wert und negativen Auswirkungen des Tourismus nicht passt. Darum sprechen wir nicht vom Wiederaufbau des weltweiten Tourismus, so wie er war, sondern von Re-Imaging, also einer Neuerfindung. Wir können nicht zurück in alte Muster. In meinen Studien befasse ich mich derzeit sehr stark mit der Messung des „Value over Volume“, also welche Auswirkungen heruntergebrochen ein einzelner Tourist in einem Land hat.
Wie kann man den Wert erhöhen, ohne notwendigerweise immer weiter wachsen zu müssen?
Es geht da etwa um die Frage, ob Tourismus etwas zur positiven Entwicklung eines Landes beiträgt. Also um die Frage, ob Tourismus das Wohlergehen von Kultur und Natur fördert? Diesem Tourismus wird die Zukunft gehören. Den anderen, der zerstörerisch wirkt, den will niemand mehr. Ich arbeite derzeit mit der neuseeländischen Regierung daran, ein Messverfahren zu entwickeln, das klare politische Durchsetzungsmöglichkeiten bietet. Es soll verhindert werden, dass man wieder in alte Muster zurückfällt.
Aber es gibt Interessen, die den Status quo beibehalten wollen?
Es hat sich eine gefährliche Eigendynamik entwickelt, in der schrittweise die Interessen großer Hotelketten oder Kreuzfahrtunternehmen, um mal ein paar zu nennen, wichtiger wurden, als jene der kleinen und mittelständischen lokalen Unternehmen. Wir brauchen mehr Eigenbestimmung statt Fremdbestimmung und mehr regionale Wertschöpfung.
Welche konkreten Maßnahmen brauchen wir für eine klimafreundlichere Tourismus-Transformation?
In erster Linie müssen wir den Transport in den Griff bekommen. Die Corona-Krise ist hierfür ein effektiverer Wegbereiter, als politische Maßnahmen es sind. Der Flugverkehr wird sich meiner Meinung jedenfalls komplett verändern. Wir erleben gerade das Phänomen einer steigenden globalen Vernetzung, wobei die Menschen sich nicht physisch sehen müssen. Ich erlebe das gerade selbst beim Geschäftsverkehr. Wir erkennen, dass wir für unsere Arbeit nicht mehr quer durch die Welt fliegen müssen, um physisch auf irgendwelchen Konferenzen anwesend zu sein. Unterstützt muss das durch staatliche Maßnahmen werden, etwa Obergrenzen für Treibhausgasausstoß oder mit mehr Geld für die Erforschung und Entwicklung alternativer Treibstoffe.
Besonders junge Leute leben einen verantwortungsvollen Lebensstil. Sie haben eine Tochter mit elf Jahren. Was fordern die Jungen von einem touristischen Angebot?
Das ist ein interessantes Thema. Einerseits gibt es dieses Umdenken der „Fridays for Future“-Bewegung. Andererseits sind diese jungen Menschen alle in einer Konsumwohlstandsgesellschaft aufgewachsen, in der es an nichts mangelt. Aber wenn ich meine Studenten frage, warum sie auf Urlaub gehen, sind die Motive ganz klar: nämlich „Quality Time“ mit Freunden oder Familie zu haben. Viele junge Leute haben ja gar nicht das Bedürfnis, andauernd zu reisen. Wir haben sie dorthin gezüchtet, ihnen diesen Reisehunger eingeredet. Viele sagen heute: Sie müssen nicht mehr auf den Fidschis urlauben. Und mit den Freunden in aller Welt ist man eben über Social Media in Kontakt.
In Europa diskutieren wir derzeit eine Reduktion von Einwegplastik. In Österreich sagt der Handel sofort: Das geht nicht! Haben die Konsumenten tatsächlich so viel Macht, oder müsste man nicht vieles politisch entscheiden? Etwa Einwegplastik einfach verbieten, wenn wir eine bessere Umweltbilanz wollen?
Das ganze Thema hatten wir in Australien und Neuseeland auch. Bei uns wurden die Plastiktaschen in den Supermärkten abgeschafft. Es war genau eine Woche ein Thema, dann hat sich jeder daran gewöhnt. Die Angst vor Veränderungen ist manchmal viel größer als die tatsächlichen Auswirkungen.
Seit einigen Jahren sind weltweit populistisch-nationalistische Politiker im Aufwind. Von diesen sind keine Anstrengungen für den weltweiten Klimaschutz gekommen. Besteht noch Hoffnung?
Das ist schwierig. Ich kann auf diese Frage nur mit Hoffnung antworten. Mein fester Glaube ist, dass es schon jetzt einen Systemwandel gibt und dass die Jungen und die Erfahrungen aus der Corona-Krise diesen Wandel auch verstärken. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, in der Krisen ein entscheidender Tipping Point waren. Ich hoffe, die Corona-Krise ist so etwas für den Umgang mit Natur und dem Weltklima. Letztlich bin ich positiv, weil ich denke dass Realismus oder Pragmatismus nie zu einem Wandel führten und dieser immer durch Idealismus getragen wurde. So wird es auch jetzt sein.
Zur Person
Susanne Becken ist Professorin für Tourismus an der Griffith University in Australien. Becken war weltweit eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die sich mit den Umweltauswirkungen des Tourismus, insbesondere dem Klimawandel, beschäftigte und dabei auch die ökonomischen Faktoren der Tourismuswirtschaft miteinbezog.