Sinn und Wahn der Digitalisierung
Das mit dieser Digitalisierung ist so ein Ding … „Wer nicht mitmacht, ist verloren“, sagen die einen. „Die Digitalisierung macht uns alle krank“, sagen die anderen. In seinem Essay „Wahn und Sinn der Digitalisierung“ (ÖGZ 18/2016) zeichnet Thomas Askan Vierich einen genüsslichen Bilderbogen vor allem zu Ersterem, dem Wahn: Schöne neue Welt der Millennials. Kaviar löffelnde Blogger. Groß kassierende Influencer. Google als Datenkrake. Allgemeine Preisgabe der Privatsphäre. Existenzverlust ohne Social Media. Gekaufte Follower … Das apokalyptisch zugespitzte, höchst amüsante Ende? Stammgäste blasen zum Shitstorm, nachdem sie spitzkriegen: Die im Spa per Smartphone filmende Bloggerin wird dafür auch noch bezahlt! Schluss-einstellung: Hasspostings der Forty- und Fiftysomethings – das Hotel sieht die jedenfalls nie wieder.
Szenenwechsel. Auftritt eines Fiftysomething, gerade an der Grenze zwischen Babyboomer und Generation X geboren. Eindeutig: ALT. Und doch: Social-Media-Enthusiast, begeisterter Twitterer, Reiseblogger, „Influencer“ … Mein Auftritt, eine Erwiderung in der Tasche. Oder besser: eine Einladung.
Drehen wir doch „Wahn“ und „Sinn“ zu Digitalisierung, Social Media, Influencern und Co einmal um. Und sehen wir, was passiert, wenn wir statt des anekdotischen „Wahns“ den „Sinn“ der Digitalisierung in einem größeren Zusammenhang von Service, Erlebnis, Kommunikation, Distribution und digitaler Kompetenz betrachten.
Service: Kunde entscheidet!
Digitalisierung bedeutet: Informationsverhalten wie auch Urlaubserwartungen der Reisenden haben sich in den letzten fünf bis acht Jahren dramatisch geändert. Ihre Gäste kommunizieren anders als früher. Und auch deren Erwartungen an Dienstleistungen sind gestiegen. Echtzeit-Verfügbarkeit, Flexibilität, mobile Abfragbarkeit: Die Sharing Economy ließ die Ansprüche Ihrer Kunden steigen.
Dass Airbnb, Uber, Google Trips und Co Erwartungshaltung wie Konsumgewohnheiten nachhaltig verändern und althergebrachte Geschäftsmodelle bedrohen, kann man beklagen. Aber man kann diese Entwicklung auch mitgestalten – und so das Potenzial neu entstehender Nischen und Innovationen, die enormen Möglichkeiten in Kommunikation und kundenorientiertem Service für den eigenen Betrieb nutzen.
Erste Erkenntnis zur Digitalisierung: Nur die Erwartungen Ihrer Kunden zählen!
Erlebnis: Wo ist Ihr Wow?
Warum sollen Ihre Gäste ausgerechnet zu Ihnen kommen? Die Digitalisierung hat Urlaubssuchenden zwei Optionen gegeben: 1. Weil Sie der Billigste sind. 2. Weil Sie ein außergewöhnliches Urlaubs-
erlebnis bieten. Im ersten Fall werden Sie an Ihrem Preismanagement, an Daten und Verfügbarkeiten arbeiten müssen. Im zweiten Fall kommt es vor allem auf eines an: dass Ihr Produkt dem Gast ein „Wow!“ entlockt.
Mal ehrlich: Was ist Ihr Produkt? Das Bett, das Sie verkaufen? Das Mittagsmenü? Die Dienstleistung? Oder sind Sie schon so weit, dass Sie ein Erlebnis verkaufen? Wenn ja: Wie sorgen Sie damit für ein „Wow“?
These Nummer zwei: Die Digitalisierung zwingt Sie dazu, an Ihrem Produkterlebnis zu arbeiten.
Kommunikation
Die nächste Herausforderung: Wie und wo können Sie das „Wow“ kommunizieren? Zunächst einmal: Überraschen Sie, begeistern Sie – und denken Sie multimedial! Fotos sind stärker als Texte, Videos sind stärker als Fotos.
Die Digitalisierung macht es leichter, Ihr Produkterlebnis an den Gast zu bringen. Zugleich fällt dies wegen der Vielzahl neuer Kommunikationskanäle deutlich schwerer als früher. Ihr Gast ist hybrid und mobil, bewegt sich online und offline, erwartet Inspirationen in den Medien, wo er sich bewegt – und Informationen dann, wenn er sie benötigt. Website, Mail, Telefon: Das sind längst nicht mehr alle Kanäle, über die er mit Ihnen in Kontakt treten möchte. Umso wichtiger ist es, dass Sie ihm Kontaktpunkte entlang der gesamten Customer-Journey anbieten.
Die dritte These: Kommunizieren Sie Ihr Produkt begeisternd, multimedial – und auf so vielen Kanälen wie möglich!
Distribution
Wer, glauben Sie, prägt heute das Bild einer Destination? Der Tourismusverband? Seine Webseite? Seine Prospekte? Seine Pressefotos? Weit daneben: Das Bild einer Destination entsteht heute in den Augen des Gastes. Wird von ihm wahrgenommen und weiter verbreitet – über soziale Netzwerke und auf Bewertungsplattformen. Als Touristiker haben Sie kaum mehr eine Chance, dieses Bild quer durch alle Kanäle zu prägen. Es sind hunderte, tausende Einzeleindrücke, die bestimmen, ob Ihre Region, Ihr Betrieb als attraktives Urlaubsziel wahrgenommen werden.
Auftritt der „Influencer“: Es ist wirklich, wirklich cool bei Ihnen! Das klingt ganz anders, wenn Sie das sagen – oder jemand, dem potenzielle Gäste vertrauen. Lassen Sie Influencer erzählen, was Ihre Gäste bei Ihnen erleben können! Blogger haben einen guten Instinkt für Erlebnisse und authentische Storys – und erzählen diese aus einem anderen Blickwinkel, als Sie es könnten. Holen Sie sich Fotografen und Videoblogger, die faszinierende Bilder einfangen und diese dort posten, wo Ihre Gäste sie sehen!
Und berücksichtigen Sie eines: Reichweite, guter Content, aber auch die Zeit dieser Influencer haben einen Wert. Wenn ein „Reiseblogger“ nur bei Ihnen gratis urlauben möchte, wenn er Ihnen den Wert seiner Arbeit nicht überzeugend vermitteln kann, dann: Finger weg!
Vierte Erkenntnis zur Digitalisierung:
Lassen Sie Gäste und Influencer sprechen!
Digitale Kompetenz
Kompromisslose Kundenorientierung verlangt das Denken in übergreifenden Dienstleistungsketten. Der Schlüssel dazu liegt in digitaler Kompetenz, offener Innovation, flachen Hierarchien – und der Bereitschaft, ständig dazuzulernen.
Damit verbunden ist ein weiterer Kontrollverlust: Akzeptieren Sie, dass Sie als Chef nicht mehr alles wissen können! Holen Sie sich digital-
affine Mitarbeiter – und geben Sie ihnen genug Freiraum! Nur so werden Sie mit den Entwicklungen Schritt halten können.
These Nummer 5: Hierarchische Entscheidungsstrukturen sind im digitalen Zeitalter überholt – lebenslanges Lernen ist Pflicht!
Wahn oder Sinn der Digitalisierung? Ich meine: Wenn Sie Service, Erlebnis, Kommunikation, Distribution und Weiterbildung konsequent digital denken, formiert sich alles zu einem stimmigen, sinnigen Bild.
Autor: Günter Exel
Pro & Contra Digitalisierung im Tourismus
In ÖGZ 18 hat Chefredakteur Thomas Askan Vierich einen kritischen Essay zum Thema Digitalisierung im Tourismus geschrieben.
Dieser Text hat den Digitalisierungexperten Günter Exel zu einer Gegenrede veranlasst, in der er die Chancen der Digitalisierung herausstreicht.