Der Tradition verpflichtet
Eigentlich sei er seit zehn Jahren in Pension, sagt Josef Nothegger. Der 75-Jährige setzt einen breiten Grinser auf und reicht einen Kaffee über die hölzerne Bar. Aber sein Betrieb brauche ihn, oder auch umgekehrt – wie man es eben sehen will. So steht Nothegger noch immer sieben Tage die Woche hier im „Strasserwirt“ und tut seine Arbeit.
Was Arbeit ist, hat er früh gelernt. Als Kind half er tagsüber in der Landwirtschaft mit und servierte abends im Wirtshaus den Gästen. So war es in dieser Zeit auch üblich. So sei es eben heute nicht mehr, wie der 75-Jährige mit einem Seufzer kundtut. Mit 17 wurde er dann sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen. Sein Vater musste für ein knappes Jahr in eine Lungenheilanstalt, und Nothegger übernahm schrittweise in dritter Generation den Betrieb seiner Familie. Sein Leben bestand fortan aus noch mehr Arbeit – Freizeit kannte er kaum, erzählt er.
Spuren bis 1377
Die Arbeit am Gast hat im Strasserwirt im Tiroler Ort St. Ulrich lange Tradition. Vor 643 Jahren entstand hier eine Taverne. Damit ist der Strasserwirt der älteste Betrieb im Bezirk Kitzbühel und gleichzeitig auch einer der ältesten in ganz Österreich. Damals standen hier gerade mal eine Kirche und ein paar landwirtschaftlich genutzte Häuser. Die Taverne war im Besitz des Bistums. Die bäuerliche Bevölkerung holte sich Stärkung nach der harten Landarbeit. Heute zählen in erster Linie Urlauber zu den Gästen, die die vielfältigen Angebote genießen. Die Kitzbüheler Alpen haben sich zu einer beliebten Destination für Winter- und Sommersportler gemausert. Nur wenige Kilometer entfernt liegen Skigebiete von Weltruf und das nahgelegene Hochfilzen, das zu den alpinen Hochburgen des nordischen Sports zählt. Im Sommer locken 2.500 Kilometer markierte Wanderwege sowie 1.000 Kilometer Rad- und 800 Kilometer Mountainbike-Wege.
Auch der Strasserwirt hat sich modernisiert, und profitiert heute vom Tourismusboom der vergangenen Dekaden. Aus der Landwirtschaft mit Taverne ist heute ein Hotel mit eigener Pferdezucht geworden. Das Wirtshaus steht immer noch und zieht nicht nur Hotelgäste, sondern auch Einheimische an.
Tiroler Wirtshauskultur
Dafür sorgt Josef gemeinsam mit seiner Frau Viktoria. Die Frauen schupfen beim Strasserwirt die Küche, so war es immer. Und so ist es auch bei den Notheggers. Dabei fühlt man sich der langen Tradition verpflichtet. Das zeigt sich darin, dass sich die Notheggers der Tiroler Wirtshauskultur verschrieben haben. Sie führen das Siegel „Tiroler Wirtshaus“, das vom Verein Tiroler Wirtshauskultur vergeben wird.
Dieses besteht aus den drei Zutaten:
1) Liebe zur Tiroler Kost,
2) authentische Architektur und Atmosphäre und
3) frische und regionale Lebensmittel.
„Ich glaube an regionale Produkte und die heimischen Spezialitäten. Das Fleisch muss jedenfalls aus Österreich sein, und Fertigprodukte kommen mir nicht in die Küche. Bevor es so weit kommt, muss ich eben die Karte verkleinern“, sagt Viktoria Nothegger. Schon jetzt passt die Speisekarte auf zwei A4-Seiten. Geboten wird Hausmannskost. Das sind regionale Spezialitäten wie Tiroler Gröstl oder Kaspressknödel von Produkten aus der heimischen Landwirtschaft, zubereitet mit Gewürzen aus dem hauseigenen Kräutergartl. Der Strassserwirt bietet zudem ganzjährig frische Forellen aus dem Kalter von der Fisch-zucht Trixl in Fieberbrunn, Wild aus den Loferer Steinbergen oder flaumigen, frisch zubereiteten Kaiser- oder Moosbeerschmarrn. Und wo bekommt man die Rohstoffe für regionale Spezialitäten? Das meiste bekomme sie beim nahegelegenen C&C-Markt, dem Eurogast Sinnesberger, sagt Frau Nothegger. Fleisch bezieht man direkt von einem Metzger aus Fieberbrunn, und der Honig kommt direkt vom Erzeuger. Die Gäste goutieren das. Das eigentliche Problem liegt wie bei so vielen Betrieben in der Gegend in der angespannten Mitarbeitersituation. „Küchenhilfen bekommst du einfach, aber es gibt so gut wie keine Köche“, sagt Frau Nothegger. Darum stehe sie selbst noch sieben Tage die Woche in der Küche und hält den Laden zusammen. Weil es einfach nicht anders gehe, wie sie meint.
Ihr Gatte Josef blickt beim Thema Arbeitskräfte ratlos in die Luft. „Heute bekommen wir einen Tag vor dem geplanten Arbeitsstart Absagen“. Es liege nicht an der Bezahlung, meint er. Der Wirt und Hotelier glaubt, dass die Arbeitnehmervertreter der Branche über Jahre hinweg keinen Gefallen getan haben. „Ich bin schon sauer auf die Gewerkschaft, dass sie immer die Arbeitszeiten anprangert. Dabei arbeitet doch jeder Vierte am Wochenende. Bei Ärzten und Busfahrern regt sich niemand auf“, so Nothegger. Wie man die Lage lösen könne? Der 75-Jährige zuckt mit den Schultern.
Sohn soll’s anders machen
Aber das ist auch eine Frage, mit der er sich künftig nicht mehr auseinandersetzen werden wird. Mit Ende des Jahres soll sein Sohn den Betrieb übernehmen und so in die vierte Familiengeneration führen und vielleicht den Weg zum 700-Jahr-Jubiläum des Gasthauses ebnen.
Tradition sei ihnen immer wichtig gewesen, sagen die Notheggers, während sie stolz in der Chronik ihres Betriebes blättern. Alle ehemaligen Eigentümer sind hier aufgelistet. Das erzeugt Demut. So eine Tradition müsse weitergehen. Aber Tradition spiele eben bei Jungen weniger eine Rolle als in ihrer Generation, sagen die beiden. Dennoch müsse man die Jungen machen lassen.
„Unser Sohn hat angekündigt, vieles anders zu machen als wir“, sagt Josef Nothegger und in seiner Stimme schwingt Wehmut mit. Aber das müsse man zulassen. Andere lägen in ihrem Alter schon längst in der Sonne und genießen den Ruhestand. Seine Frau und er wollen diesen Leuten nächstes Jahr folgen. Den eigenen Betrieb zu führen wird ihnen dabei vermutlich aber auch ein Stück weit abgehen.