Wie geht es der Wiener Nachtgastronomie?
Fröhlich tanzend schieben sich junge Menschen durch die Menge, verschwitzt und lebenslustig, Körper an Körper – in Richtung Bar, in Richtung Tanzfläche, in Richtung Ausgang, um zwischendurch ein bisschen Frischluft zu tanken. Der Gürtel ist vergleichsweise autofrei, es ist drei Uhr morgens. Die Party ist in vollem Gange, der DJ heizt die Stimmung mit dem nächsten Hit noch weiter an. Im Chelsea wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen ...
Pausetaste
Und dann erscheint das Coronavirus und drückt die Pausetaste. Die Welt, wie Nachtschwärmer sie kannten und liebten, gibt es – vorerst – nicht mehr. Für Othmar Bajlicz, Betreiber des legendären Musikclubs am Wiener Gürtel, liegt eine Rückkehr zur früheren Normalität in weiter Ferne: „Vergangenes Jahr waren wir sehr aktiv und konnten zwischen Juni und dem Lockdown im November 58 Konzerte veranstalten. Die Zuschauer mussten zwar mit Abstand zueinander sitzen – und doch war es besser als nichts. Aber die Menschen dürfen nicht mehr tanzen, sich nicht mehr berühren. Selbst wenn alle geimpft sein sollten: Auf Knopfdruck werden wir dieses Gefühl von früher nicht wieder herstellen.“
Im Rolling-Stones-Modus
Dank Zugriff auf eigene Reserven und staatliche Hilfen „geht es uns zwar so schlecht wie allen anderen auch. Aber wir waren immer ein solides Unternehmen, ich musste keinen meiner sechs Mitarbeiter entlassen.“ Dass er mit seinen mittlerweile 68 Jahren eigentlich längst in Pension gehen könnte, will der frühere Fußball-Profi nicht zum Anlass nehmen, sein Lokal in der schwierigsten Phase seines 35-jährigen Bestehens zu schließen: „Die allgemeine Stimmung ist nicht gut. Aber ich persönlich bin im Rolling-Stones-Modus: Es geht weiter, immer weiter. Ich lass’ mir das Chelsea doch nicht von der Pandemie umbringen!“
Nachtaktive Lokale inaktiv
Anderen Lokalen droht hingegen – trotz Kurzarbeit, Fixkostenersatz und Umsatzvergütung – das Aus, weiß Stefan Ratzenberger vom Verband Österreichischer Nachtgastronomen (VÖNG): „60 bis 70 Prozent aller Betriebe sind insolvenzgefährdet.“ Mit dem „Nachtasyl“ und der legendären „Gräfin vom Naschmarkt“ hat es in den vergangenen Wochen erste prominente Opfer in der Bundeshauptstadt gegeben. Die Situation wird sich auch mit Öffnung der nachtaktiven Lokale, die wohl nicht vor Herbst 2021 zu erwarten ist, nicht sofort entspannen: „Wir gehen von einer schrittweisen Normalisierung aus. Aber ohne Unterstützung durch die Politik wird es nicht gehen. Jeder Gastronom muss für sich selber entscheiden dürfen, ob das Aufsperren für ihn wirtschaftlich vertretbar ist. Deshalb fordern wir eine Ausdehnung der Maßnahmen – etwa die Senkung der Mehrwertsteuer auf 5 Prozent – bis Ende 2022.“
Juristisch ist der Begriff „Nachtgastronomie“ nicht definiert, Interessenvertreter Ratzenberger versteht darunter aber jene Lokale, „die zwischen 22 und 6 Uhr morgens ihr Hauptgeschäft lukrieren“. Etwa 3.000 solcher Betriebe gibt es in Österreich, 700 davon in Wien. „Und da sprechen wir nicht nur von Großraumdiscos und Bars im Bermudadreieck, sondern auch kleineren Clubs, die ein echter Kulturfaktor für Wien sind. Für all diese Lokale und vor allem ihre Mitarbeiter brauchen wir eine Perspektive!“ Wie die aussehen könnte? „Wir werden einen hohen Grad an Durchimpfung brauchen. So wie in Israel, wo sie mittlerweile schon einen großen Schritt in Richtung Normalität gesetzt haben.“
In Wien heißt die Normalität für Nachtgastronomen: Bitte warten! Die Zeit vertreiben sich Verantwortliche wie Fluc-Betreiber Martin Wagner – nicht ganz freiwillig – mit bürokratischen Herausforderungen: „Einige staatliche Hilfen wie der Umsatzersatz funktionieren sehr gut. Aber meine sechs Mitarbeiter, die zur Kurzarbeit angemeldet sind, bezahle ich seit Monaten im Voraus; vom AMS habe ich seit Dezember keine Zahlungen bekommen. Es sind wahnsinnig viele Formulare auszufüllen, ohne Steuerberater bist du in dieser Situation aufgeschmissen.“
Club wird Kabarett und Impfstelle
Immerhin: Dass das Alternative-Lokal als Location für die ORF-Kabarettsendung „Pratersterne“ dient, bringt aufgrund des fehlenden Live-Publikums keinen Gastronomie-Umsatz, hält aber den Namen im Umlauf. „Außerdem haben wir das Glück“, erzählt Martin Wagner, „dass wir zumindest bis Ende April einen Untermieter gefunden haben. Das Labor ‚Virotrust‘ nimmt bei uns Rachenabstriche für PCR-Tests vor. So können wir zumindest einen Teil unserer Fixkosten abdecken.“
Was die Clubbesitzer eint, ist die Planungsunsicherheit. „Wir sind ja kein reiner Gastronomie-Betrieb, in dem man nur den Kühlschrank einschalten müsste“, erzählt Fluc-Chef Wagner. „Um ein Konzert- und Ausstellungsprogramm planen zu können, brauchst du mindestens drei Monate Vorlaufzeit. Wir wissen nicht, wann wir wieder aufsperren dürfen, aber zur Sicherheit planen wir für den Sommer.“ Mit Glück erlaubt dann eine (gerade durch den Instanzenweg schreitende) Änderung der Betriebsanlagengenehmigung eine Sperrstunde auf der hauseigenen Terrasse von 6 Uhr morgens.
Grund genug, einem schwach schimmernden Licht am Ende des Tunnels „prinzipiell positiv“ entgegenzublicken: „Die Vorgaben und Auflagen ändern sich zwar laufend, aber ich gehe nicht davon aus, dass wir bis an unser Lebensende Tanzverbot haben. Also erlauben wir uns einen gewissen Restoptimismus.“
Text: Hannes Kropik