Gastronomie
Zeitenwende in der Nachtgastronomie
Diskotheken, Clubs und Bars sind nicht nur kulturelle Orte, die als kreative Hotspots das Nachtleben mit all seinen bunten Facetten prägen. Sie sind auch Experimentierräume für Menschen mit der gleichen Leidenschaft für innovatives Sound- und Lichtdesign, für losgelöstes Feiern und Tanzen oder für anregende Gespräche mit einem Cocktailglas in der Hand. Was dabei häufig übersehen wird: Als Unternehmen mit großem Wertschöpfungsfaktor kämpfen viele Nachtgastro-Betriebe aktuell mit hohen Energie- und Personalkosten, behördlichen Schwerpunktkontrollen von Veranstaltungsstätten und – was pandemiebedingt fast zu erwarten war – mit einem stark veränderten Ausgeh- bzw. Konsumverhalten der Gäste.
Umsätze brechen ein – Kontrollen nehmen zu
„Ich habe von befreundeten Gastronomen gehört, dass die Besucheranzahl zwar gleich bleibt aber der Umsatz sinkt – die Leute kaufen eben nur mehr ein Bier statt drei“, erzählt DJ Scheibosan, Produzent, Veranstalter und Szene-Guru in Personalunion. „Hinzu kommen die privaten Homepartys, die es nach wie vor gibt und die für den Umsatz der Nachtgastronomie nicht besonders förderlich sind.“ Zudem berichten zahlreiche Clubbetreiber und Veranstalter von verstärkten behördlichen Überprüfungen ihrer Gastgewerbebetriebe und Veranstaltungsstätten.
Davon betroffen war zuletzt auch Peter Rantaša, langjähriger Geschäftsführer des Rhiz, einem Hotspot für elektronische Livemusik: „Unser Club am Lerchenfelder Gürtel ist in den letzten Monaten und Tagen mit Kontrollen von der MA 59 (Lebensmittelsicherheit und Hygiene) und der MA 36 (Gewerbetechnik, Feuerpolizei und Veranstaltungen) mehrfach konfrontiert gewesen.“ Nachsatz: „Bis heute haben wir alle Prüfungen anstandslos bestanden. Fast überflüssig zu sagen, dass der administrative Aufwand zur Führung und Bereitstellung dieser Unterlagen beträchtlich, personalaufwendig und teuer ist.“
Duales Konzept für die Generation Z
„In den beiden Pandemiejahren 2020 und 2021 haben viele Jugendliche Alternativen zur behördlich geschlossenen Nachtgastronomie gefunden. Dass vorzugsweise im Privaten oder im Sommer im Freien gefeiert wurde, ist teilweise bis heute so geblieben“, bestätigt auch Yannik Steer. Seit November 2023 bereichert der ehemalige Fotograf das Wiener Nachtleben mit einem Noch-Geheimtipp für ausgehfreudige Hipster. „Tagada“ nennt sich der neue Szene-Club, den Steer gemeinsam mit Geschäftspartner Peter Balon und einer siebenköpfigen Servicemannschaft direkt neben dem Ottakringer Yppenplatz betreibt. „Die jungen Generationen ticken beim Weggehen heute komplett anders. Sie konsumieren viel weniger Alkohol, legen mehr Wert auf gute Stimmung und Entertainment und interessieren sich auch seltener dafür, wer wo gerade auflegt“, sagt Steer.
Deshalb hätten sich die beiden Gastronomen ein neues Konzept überlegt, in dem Club- und Barbetrieb unabhängig voneinander funktionieren, schildert Peter Balon, Ex-Geschäftsführer des Wiener Techno-Clubs Grelle Forelle: „Im Rausch – so heißt unser vorderer Barbereich – gibt es ausgewählte Cocktails zu günstigen Preisen, wo man sich mit Freunden und Bekannten treffen und entspannt unterhalten kann. Und wer will, kann später immer noch im räumlich abgetrennten Tagada-Club ordentlich abfeiern und tanzen gehen.“
Was eine gelungene Party letztendlich ausmacht? Die spontane Antwort auf diese Frage kommt vom jungen Wiener DJ-Kollektiv Verum Gaudium: „Wenn man pure Emotionen spürt, lachende Gesichter sieht, Zugabe-Rufe nach dem letzten Song hört und einfach diese unglaubliche Energie wahrnimmt – ganz unabhängig davon, welche Art von Musik gerade gespielt wird.“
Hybrid aus Bar, Restaurant und Club
Eine neue „Dinner Experience” für gehobene Zielgruppen ab 30 Jahren verspricht dagegen Szenegastronom Joachim Natschläger, der Anfang Dezember 2023 am Universitätsring 10 das „Ziizuu – Contemporary Kitchen & Bar“ eröffnet hat. „Wir möchten mit einem exklusiven Interiordesign mit floralem Ambiente, asiatischer Fusionsküche und dem Motto ‚Essen, Feiern und trotzdem früh zuhause sein‘ eine neue Ära im Wiener Nachtleben einläuten“, sagt Natschläger, der in den letzten Jahren mit dem Empire Club, dem Horst im ehemaligen P1 oder dem O in der Albertina Passage schon einige Gastrokonzepte für Nachtschwärmer verwirklicht hat. Für das Entertainment in diesem über 750 m2 großen Dinnerclub sorgen an den Wochenenden Live-Bands und DJ’s, die „humanen“ Öffnungszeiten Dienstag bis Samstag von 17 Uhr bis 2 Uhr sollen den Gästen einen möglichst fitten nächsten Tag bescheren.
Mama geht tanzen – nur früher!
Familienfreundliches Feiern zwischen 20 und 23 Uhr abends liegt momentan voll im Trend und ist auch das Motto der erfolgreichen deutschen Partyreihe „Mama geht tanzen“. Dieses neue Format wurde speziell für Frauen mit kleinen Kindern entwickelt und hat inzwischen auch hierzulande eine stark wachsende Fangemeinde – wie das im ausverkauften Wiener Prater Dome stattfindende Event beweist.
„Nur weil man Mama ist, muss man nicht zwingend auf Partys verzichten. Denn exzessive Clubnächte nach Mitternacht sind aufgrund des nachwuchsbedingt eingeschränkten Privatlebens leider nicht mehr drin“, erklären die beiden Initiatorinnen Anna Schumacher und Andrea Rücker aus Wuppertal die zündende Idee hinter ihrem Konzept.
Trinken und Dinieren für Fortgeschrittene
Die Wiener Bar-Szene hat die letzten beiden Jahre auf beeindruckende Weise dazu genutzt, um ihre Gäste mit einer noch nie dagewesenen Vielfalt an fantasievollen und außergewöhnlichen Cocktails zu begeistern. Der neueste Stern am Wiener Cocktailhimmel heißt Soulmate und wurde erst im Dezember des Vorjahres in der Siebensterngasse in Wien-Neubau eröffnet. Kreatives Mastermind dahinter ist Dominik Oswald, österreichischer Gewinner der World Class Bartender Competition 2022 und einer der Top-Mixologen des Landes. „Bei uns arbeiten erfahrene Barkeeper und junge Talente gemeinsam, um voneinander und miteinander zu lernen. Wir tauschen auch gerne Rezepte mit der Community aus und teilen unser Wissen in einer offenen und entspannten Atmosphäre – sowohl bei Klassikern als auch bei neuen gewagten Kreationen.“
Dem „Oberst“, wie ihn alle in der Branche nennen, wurde aber schnell klar, dass es nicht nur beim soliden Drink-Handwerk bleiben würde. „Wir haben ein monatlich wechselndes ‚Kitchen-Take-Over‘-Konzept entwickelt, bei dem sich junge Kochtalente auf dem Weg zum ersten eigenen Betrieb einen Namen machen können.“ Für echte Bar-Aficionados gibt es im Soulmate seit kurzem auch professionellen Nachhilfeunterricht unter dem Titel „Cocktail Soirée“. In einem intimen Rahmen können Gruppen von 6 bis 8 Personen unter der Anleitung von den Top-Barkeepern des Hauses lernen, wie man ausgewählte Cocktails eigenhändig mixt.
Gemeinsam feiern mit Wohlfühlgarantie
Genau wie die boomende Bar-Community bringen auch unabhängige heimische DJ- und Partykollektive mit ihren innovativen Veranstaltungskonzepten frischen Wind in das Wiener Nachtleben. In wechselnden Club-Locations, in denen ein respektvoller Umgang und ein geschütztes Miteinander-Feiern im Mittelpunkt stehen, warten genreübergreifende DJ-Sets und vor allem viele neue Erfahrungen auf die Clubgäste. Sei es mit aufwändigen Raumdekos oder coolen Specials wie Tattoostände, Flohmärkte, Kunstausstellungen oder Yoga-Sessions mit unterlegter Technomusik, die die Partys als „Safer Spaces“ enorm aufwerten.
Die freie Entfaltung des eigenen Selbst spiele auch bei der sexpositiven Partyreihe „Zusammen kommen” des feministischen Wiener Techno-Kollektivs „Hausgemacht“ eine zentrale Rolle, erzählt Gründerin Frederika Ferkova: „Unsere strenge Türpolitik und ein gut geschultes Awareness-Team sorgen für geschützte Räume, in denen man sich ungezwungen an das Thema Genderidentität, Körperrespekt und Wohlsein sowie Sexualität herantasten kann. Es wird somit ein Ort geschaffen, an dem einfach existiert werden darf – ohne Wertung und Grenzüberschreitungen.“
Wie sicher sind Wiener Nachtclubs?
Die Vienna Club Commission (VCC) – eine von der Stadt Wien finanzierte Dialogplattform für Akteur*innen der Wiener Clubkultur – beschäftigt sich übrigens schon länger mit den Themen Awareness und Safer Nightlife. „Hier zeigen die Ergebnisse einer 2023 durchgeführten Online-Umfrage mit über 2.200 Befragten zur Sicherheit im Wiener Nachtleben, dass tatsächlich ein großer Handlungsbedarf besteht“, sagt Orsolya Fehér, Fokusgruppen Manager*in der VCC. „Denn 65 Prozent aller Befragten haben zumindest schon einmal persönlich Diskriminierung, Belästigung oder einen sexuellen Übergriff erlebt.“ Braucht es für ein höheres subjektives Sicherheitsempfinden deshalb mehr geschultes Security-, Club- und Barpersonal, diskriminierungssensible Haus- und Veranstaltungsregeln oder mehr Awareness-Teams vor Ort?
Der Wunsch nach einer diesbezüglichen Optimierung ist bei den Befragten jedenfalls groß. Man darf bereits gespannt sein, welche praxisnahen Lösungen bei der im November 2024 geplanten VCC-Konferenz „Vienna After Dark“ erarbeitet werden. In prominent besetzten Podien und diversen Fokusgruppen-Workshops soll die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Relevanz des Nachtlebens in Großstädten näher beleuchtet werden – und damit auch die gegenwärtige Zeitenwende in der Wiener Nachtgastronomie.
Text: Tony Bayer