Höchste Dringlichkeit für Arbeitsmarktfragen
Die Probleme spitzen sich zu: Immer mehr Betriebe stellen auf Garni um oder müssen Hochzeiten ablehnen – kein Personal. ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer wies in ihrem Einstiegsreferat auf mehrere Fälle in Tirol hin. Allerdings betreffe der Arbeitskräftemangel nicht nur den Tourismus: Es werden auch Lehrer oder Ärzte gesucht. Zum Beispiel. Dennoch besteht dringender Handlungsbedarf, gerade im Tourismus. Arbeitsmarktforscher Dominik Walch vom Institut für Höhere Studien stellte eine aktuelle Studie vor – mit zum Teil erschreckenden Zahlen und Prognosen.
Systemimmanente Probleme
Die Probleme im Tourismus, speziell in der Hotellerie, sind zum Großteil systemimmanent, die Nachfrage schwankt saisonbedingt, es muss „just in time“ produziert werden in einer sehr personalintensiven Branche, die regional auch noch sehr unterschiedlich aufgestellt ist. „Die Hotellerie ist der heterogenste Arbeitsmarkt mit der größten Dynamik“, sagt Walch. In den letzten 20 Jahren hat sich daran nicht viel geändert, es ist mit einem weiteren Wachstum zu rechnen. Wenn das moderat ausfällt, braucht die Branche bis 2023 pro Monat zusätzlich 6.000 bis 8.000 Arbeitskräfte. Beschleunigt sich das Wachstum, sind es sogar 16.000 bis 18.000. Das zusätzliche Problem: Alle fünf Jahre wechselt die Hälfte der Beschäftigten aus oder in die Branche.
Die hohe Flukation bedeutet, man muss rund die Hälfte aller Mitarbeiter neu anheuern. Bis 2023 werden das bis zu 60.000 Menschen sein, denn insgesamt arbeiten in der Hotellerie rund 100.000 Menschen. Weiteres Problem: Aufgrund des Qualitätsdrucks in einem hart umkämpften Markt (immer mehr Nächtigungen im Bereich der Vier- und Fünf-Stern-Hotellerie auf Kosten der Ein- bis Drei-Sternhotellerie) kann mehr Qualität nur mit mehr und besser ausgebildeten Mitarbeitern erreicht werden. „Die Beschäftigung wächst schneller als die Nächtigungen“, sagt Walch. Und die Rettung wird nicht mehr aus den neuen EU-Ländern kommen. „Der Braindrain im Osten ist bereits jetzt dramatisch – bei fallender Fertilitätsquote.“ Es werden also nicht mehr viele Junge nachkommen. Das bedeutet: Der Konkurrenzkampf um junge, motivierte Mitarbeiter wird noch deutlich zunehmen.
Neue Führungskultur
Der deutsche Hotelier Marco Nussbaum, bekannt für ungewöhnliche Ideen, plädierte dafür, die Führungskultur zu ändern: „Wir sprechen nicht mehr die gleiche Sprache wie die jungen Leute. Die brauchen eine andere Form der Führung. Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Gutes Employer-Branding würde viele Probleme lösen. Der neuen Generation gehe es um mehr als ein gutes Gehalt. Aber das ist schon auch wichtig. Nussbaum zahlt seinen Lehrlingen doppelt so viel, wie er müsste – und wird dafür gefeiert. „Junge Leute suchen einen Arbeitgeber, der ihre Werte vertritt, flexible Arbeitszeiten bietet, ein angenehmes Betriebsklima, vor allem Anerkennung und Wertschätzung.“ Im Grunde müsste ein Hotel funktionieren wie ein Start-up. Was prompt zu Widerspruch bei den anwesenden Hoteliers führte: Ein Hotel sei nun mal nicht ein Start-up, funktioniere nach anderen Regeln.
Jobhopping
Nussbaum schilderte, dass Hotels schon Einstellprämien verteilten. „Das führt zu Jobhopping vom Feinsten mit Dienstleistungssöldnern wie im Profifußball. Das kann nicht funktionieren. Zufriedene Gäste gibt es nur mit zufriedenen Mitarbeitern. Wir spüren die Erschütterung der Macht. Der einsame Leitwolf hat ausgedient.“ In künftigen Bewerbungsgesprächen müsse der Arbeitgeber den potenziellen Arbeitnehmer fragen: Was kann ich dir anbieten, damit du bei mir arbeiten möchtest? Ein guter Chef lebt die Werte vor, die seinen Betrieb prägen. Wenn das authentisch sei, sei man erfolgreich.
Ausbildung ist zentral
In der anschließenden Podiumsdiskussion, an der sich auch das Publikum rege beteiligte, wurden weitere Lösungsvorschläge gemacht. Interessant war, dass auf dem Podium auch Hoteliers aus der Schweiz, Südtirol und Deutschland waren. Die stehen vor ganz ähnlichen Problemen – allerdings unter teilweise anderen Rahmenbedingungen. In Deutschland tritt zum Beispiel kommendes Jahr das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft, das die Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen wesentlich erleichtern wird – kein Vergleich mit der Rot-Weiß-Rot-Karte.
Miriam Shergold von der Hotelleriesuisse, die sich intensiv mit der Ausbildung beschäftigt, sagte, dass die Arbeitgeber zu wenig über ihre künftigen Mitarbeiter wüssten. Man müsse offener für Quereinsteiger werden. Andreas Gollner von der Gewerkschaft vida wies auf das Problem hin, dass Tourismusschüler oft schlechte Erfahrungen in ihren Pflichtpraktika machten. Das dürfe nicht sein. Hier verspiele die Branche, insbesondere im Sommer, viele Chancen: Da müsse man sie für die Branche gewinnen – statt sie zu verschrecken.
Darauf erwiderte Michaela Reitterer, dass die Hotellerie zu viele Praktika anbieten müsste, oft wisse man nicht, was man mit den jungen Leuten anfangen solle. Dominik Walch wies darauf hin, dass es überall in Österreich Betriebe gebe, die keine Probleme mit dem schwierigen Arbeitsmarkt hätten. Eine Ausbildnerin am Wiener Modul erzählte, dass sie eher vor dem Problem stünde, dass ihre Schüler so begeistert aus dem Praktikum in der Hotellerie oder Gastronomie zurückkehrten, dass sie nicht wieder zurück in die Schule wollten. Das Problem sei eher die Akademisierung der Berufe: „Wir bilden zu viele Manager aus.“
Es fiel auch der Hinweis, dass in Österreich die Lehre mit 15 Jahren zu früh beginne, in Deutschland beginnen Lehrlinge erst mit 16 oder 17 Jahren. Shergold wies darauf hin, dass der Tourismus grundsätzlich eine niederschwellige Branche sei, wo viele einen Job fänden, die woanders keine Chance hätten. Das werde gesellschaftlich zu wenig anerkannt. Michaela Reitterer lobte einmal mehr das Vorarlberger Ausbildungsmodell Gascht, wo die Lehrlinge die Ausbildungsstätte wechseln können bzw. müssen. Das sei ein Riesenerfolg, das wollten junge Menschen heute. Die Ausbildung müsse sich an die Bedürfnisse der Auszubildenden anpassen. Es müssten auch ganz andere Jobs ausgebildet werden wie zum Beispiel Yieldmanager.
Unflexible Regeln
Jemand aus dem Publikum wies darauf hin, dass der Tourismus immer noch nach den Spielregeln der Industriegesellschaft funktioniere – mit starren Hierarchien. Man müsse viel mehr in Netzwerken denken. Der Country General Manager von Hilton, Norbert Lessing, erwähnte die veralteten Rahmenbedingungen: „Was ist falsch, wenn jemand 14 Stunden arbeiten will? Oder nur drei Tage die Woche, dafür aber viele Stunden pro Tag?“ Michaela Reitterer wünschte sich einen Arbeitsmarkt mit weniger Regulierungen. Wer arbeiten möchte, solle arbeiten dürfen. Das gelte vor allem auch für Saisonarbeiter: „Die kommen zu uns, weil sie gutes Geld verdienen wollen. Dann lasst sie gutes Geld verdienen! Mehr, als momentan gesetzlich erlaubt ist.“
Gewerkschafter Andreas Gollner betonte, dass es die Branche schaffen müsse, auch für eine ältere Zielgruppe attraktiver zu werden: Man müsse gemeinsam neue Arbeitszeitmodelle finden. Der Präsident des Hoteliers- und Gastwirteverbands Südtirol, Manfred Pinzger, formulierte als Schlusswort, dem sich wohl die meisten Anwesenden anschließen konnten: „Die Wertschätzung der Mitarbeiter muss besser werden. Aber auch die Wertschätzung der Branche aufseiten unserer Partner in Politik und Gesellschaft.“ Die ewige Kritik am Tourismus und das Jammern der Touristiker selbst trage nicht zur Problemlösung bei.